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Blaue Reiter in Basel

Ein launischer Tag, dieser Freitag der dreizehnte Januar, mein zweiter freier Freitag. Sturmtief Egon hat die Schweiz fest im Griff und beschert Schnee und Wind und Regen und Wolken – und Sonne zwischendurch. Mein Eindruck heute ist, dass Egon auch mich beherrscht.

Kandinsky, Marc & Der Blaue Reiter heisst die Ausstellung in der Fondation Beyeler, die nur noch bis zum 22. Januar läuft. Meine Erinnerung an die expressionistische Kunstrichtung "Der Blaue Reiter" ist nur noch vage, aber stark genug, um den Weg nach Basel anzutreten – meine Patentante hat es vorgeschlagen und ist mit von der Partie.

 

Ich mag Basel. Ich mag den übersichtlichen Bahnhof, den zentralen Platz vor dem Bahnhof, von dem aus man mit den Öffentlichen überall hinkommt. Ich mag die Fondation Beyeler.

 

Zunächst sieht`s so aus, als sei im Museum nicht viel los. In den neun Sälen steht man dann aber doch dicht gedrängt vor den Bildern. Ich mag mir nicht vorstellen, wie’s hier am Wochenende aussehen mag. Und etwas fällt mir sofort auf: Ich senke das Durchschnittsalter. Das Publikum der Kunstinteressierten an diesem Tag ist 60 Plus. Und obwohl oder gerade weil das eine Welt ist, die nicht mehr in utopischer Ferne liegt, irritiert mich die Konzentration. Wo sind all die oder wenigstens ein paar jüngere Menschen? Ach so, die arbeiten heute natürlich, fällt mir ein. Ich bin ja privilegiert am Freitag. Es macht mich nachdenklich.

 

Allein die grosszügigen, hellen Räume des Museums mit den oft riesigen Fenstern sind es wert, in die Fondation Beyeler zu gehen. Die Ausstellung selbst schenkt mir, wie erhofft, leuchtende Farben, Erklärungen über „Der Blaue Reiter“, schöne Eindrücke. An diesem Tag gibt es kein Bild, das mich tief berührt. Witzig finde ich jedoch „Die gelbe Kuh“ von Franz Marc, die „ebendiese sinnliche Heiterkeit und positive Lebensenergie ausstrahlt“, wie es heisst. Die Farben hinterlassen ihre positive Wirkung auf mich – vor allem die satten, grossflächigen von Franz Marc gefallen mir. Während meine Tante sich mehr zu den frühen Bildern von Kandinsky hingezogen fühlt.

 

Wir fahren zurück in die Innenstadt, stärken uns, und dann geschieht das Überraschende, dass nämlich nicht sie mir, sondern ich ihr Basel zeige! Anmerkung: Meine Patentante lebt seit etwa 50 Jahren in der Schweiz und kennt sie aus dem FF. Wie immer in Basel, zieht’s mich hoch zum Münster. Es ist nicht nur geöffnet, sondern auch geheizt. Und es erklingt Musik, während wir ins Halbdunkel eintreten. Ungewohnte Blastöne, aber wohl klingend. Wir haben jetzt freie Sicht auf den Altarraum, und was erblicken wir? Alphörner! Fünf an der Zahl werden da vorne dank ihres hellen Holzes sichtbar. Gehalten werden sie von fünf unterschiedlich hohen Menschen, die einzeln oder gemeinsam ins Alphorn blasen. Daneben steht eine fahrbare Orgel mit einem mobilen Organisten, der abwechselnd mit den Alphornbläsern oder gemeinsam mit ihnen die Orgel spielt. WowI Das ist denn etwas Ungewohntes! Und die Musik klingt schön, klassisch zusammen mit der Orgel. Die Münster-Besucher lassen sich nieder und lauschen eine Weile andächtig.

 

Es geht weiter zum Kreuzgang und raus auf die Besucherterrasse mit wunderbarem Blick auf die gegenüberliegende Baselseite, den Rhein und seine Brücken. Meine Tante kann nicht fassen, wie schön’s hier ist – ihr letzter Besuch hier oben muss demnach einige Jahrzehnte zurückliegen.

 

In dieser heiteren Stimmung bietet sich ein würdevoller Abschluss des Besuchstags an. Auf eine heisse Schokolade bzw. ein Glas Schaumwein im edlen „Les Trois Rois“ – in der Bar mit den dicken, bequemen Ledersesseln lässt sich's gut aushalten. Und auf dem Rückweg zum Bahnhof passt es, dass ein Seifenblasen-Strassenkünstler uns überrascht. Er hält zwei langen Stangen mit vielen Schlaufen dran, tunkt sie ganz kräftig in die Seifenlauge und 1001 Seifenblasen tanzen durch die Freie Strasse. Kleine und grosse Menschen bleiben stehen und lassen sich für einen winzigen Moment verzaubern.

 

Infos zu „Der Blaue Reiter“ (Quelle: Saaltexte – Einführung des Kurators der Ausstellung)

Die Ausstellung widmet sich einem der faszinierendsten Kapitel der Kunstgeschichte, das unter dem Namen „Der Blaue Reiter“ Berühmtheit erlangte. Der zeitliche Rahmen, den die Ausstellung absteckt, umfasst die Jahre von 1908 bis 1914. Damals machte sich im liberalen kulturellen Klima Münchens eine internationale Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern daran, die Kunst grundlegend zu reformieren. Ihr Ziel war die Befreiung der Farbe vom Zwang, etwas darstellen zu müssen (…). Es sollte nicht mehr um die Abbildung der sichtbaren Wirklichkeit gehen, sondern um die Verbildlichung geistiger Inhalte: ein Wendepunkt in der abendländischen Kunstauffassung, der Generationen von Malern prägte – bis heute. Die führenden Köpfe waren Wassily Kandinsky und Franz Marc, die sich Anfang des Jahres 1911 kennenlernten. (…). Weitere wichtige Künstlerpersönlichkeiten sind u.a. Alexej von Jawlensky, August Macke und Gabriele Münter.

 

„Der Blaue Reiter“, der zum Synonym für den Aufbruch in künstlerisches Neuland geworden ist, war ursprünglich der Titel des legendären Almanachs, den Kandinsky und Marc 1912 herausgaben. In ihm wurden Texte und Bilder von verschiedenen Künstlern aus unterschiedlichen Kulturen und Epochen versammelt. (…)