Quirky Brits oder: Dafür lieben wir sie, die Briten

Mein erster Besuch des heiligen Goodwood gilt dem Press Day des Revival. Dazu kommt die Einladung von Lord March zum Sponsorendinner am Vorabend. Vor Sturzhelm zu High Heels hat mich niemand gewarnt.

(März 2012)

Vor Rally-Fahrt und vor Dinner in Goodwood House, Fotograf: Jochen Mass
Vor Rally-Fahrt und vor Dinner in Goodwood House, Fotograf: Jochen Mass

Adrenalin vor Goodwood House

 

Ich sitze im schwarzen Cocktailkleid, fest eingeklemmt in die Sportgurte, die Pumps ausgezogen, mit weissem, engem Sturzhelm auf dem Kopf in einem undefinierbaren Auto. Es ist orange mit Streifen drauf. Am Steuer sitzt Kevin, den ich seit zwei Minuten kenne. Jochen Mass, heute Abend mein Fotograf, hat dieses Auto für meine kleine Ausfahrt auserkoren. Ich weiss, dass mein weiteres Schicksal von Kevin abhängt: God save my driver. Kevin gibt Gas.

 

Wir schiessen los. Dunkel, laut, schnell. Meine Gedanken überschlagen sich. Sind wir auf einer Rennstrecke oder einer normalen Strasse? Wie kann einem diese mörderische Geschwindigkeit Spass machen? Warum hab ich mich überreden lassen? Wie kann so ein Auto in der Kurve die Spur halten? Gott bzw. der Queen sei Dank – nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei.

 

Nicht ganz: Wir halten auf einer Wiese und werden von fluoreszierenden Männern eingewiesen. Vor uns liegt nun der Goodwood-Wald. Kevin meint, es könne etwas rutschig werden und schiesst los. Wir donnern über einen Waldweg. Und es gibt Kurven. Viele Kurven. Wird mein Kevin das fehlerlos packen? Wie bin ich eigentlich versichert? Muss ich wirklich für meinen Job zu allem bereit sein? Kann man in dieser Karre tatsächlich nur Vollgas fahren? Wie ticken diese Adrenalin-Männer? Es ist der totale Wahnsinn. Ich guck nicht mehr raus, sondern vor mich aufs Armaturenbrett, sollte Kevin wohl eher nicht erfahren. Und trotzdem bin ich ruhig. Kevin denkt wahrscheinlich, ich hätte einen Herzkasper gekriegt … er erkundigt sich immer wieder freundlich, ob alles OK ist. Ja, denn im Vertrauen liegt die Kraft, ich hatte keine andere Wahl.

 

Und so klettert die frischgebackene Rally-Heldin stolz wie Oskar aus der Mörderkutsche und bedankt sich beim tollkühnen Piloten, dass er sie wieder heil zurück zu Goodwood House gebracht hat.

 

Dinner mit Überraschungen

 

Leider habe ich ja den Cocktailempfang durch die kleine Spritztour grösstenteils verpasst. Und doch bleibt noch ein wenig Zeit, mit hochrangigen Managern anderer Unternehmen in Smalltalk zu geraten. Irritiert bin ich, warum sie hier sind und auch ich. Aber es soll mir egal sein – ich frage erst mal, ob sie auch an der Ausfahrt teilgenommen haben. Nein? Da sei ihnen aber was entgangen, den Herrschaften. Und die Tür zum grossen Saal wird geöffnet für das wunderbare Dinner in Goodwood House.

 

73 Personen an einem einzigen, langen Tisch. Die Wände voller Gemälde, die wahrscheinlich die Vorfahren unseres Gastgebers, von Lord March, zeigen. Am Tisch bin ich platziert zwischen einem jungen Profi-BMX-Radfahrer (und Ex-Weltmeister), der Botschafter für Goodwood ist. Zu meiner Linken sitzt ein Goodwood-Direktor. Die Herren gegenüber am Tisch sind zu weit entfernt, als dass wir uns unterhalten könnten. Was auch nicht nötig ist, denn mit meinen beiden Tischherren gehen die Themen nicht aus.

 

Das Personal, das die drei Gänge aufträgt, steht mit jedem Teller übrigens so lange hinter der jeweiligen Person, bis alle Kellner parat sind: Dann erhält jeder Gast gleichzeitig sein Essen aufgetragen. Maximaler Stil also auch beim Dinner. Es mundet vorzüglich.

 

Und dann geht eine Alarmglocke – ach ja, es wurde eine Überraschung angekündigt, und sie glückt: Statisten in Kleidern und Uniformen der 40er Jahre sind plötzlich überall. Frauen mit schicken Frisuren, Haarnetz und grellem Lippenstift. Armeeangehörige, Gentlemen, Krankenschwestern, eine Mutter mit echtem Baby in echtem Uralt-Kinderwagen. Stilecht. Es herrscht ein inszeniertes Tohuwabohu bei bester Stimmung, während der Kaffee aus zeitgenössischen Bechern gereicht wird. Denn ja, dieses Entertainment wirbt fürs Goodwood Revival! So heisst das weltberühmte Oldtimerfestival im südlichen England bei Chichester, wo alljährlich an einem Wochenende im September die alten Zeiten gefeiert werden. Beim Goodwood Revival fahren nicht nur historische Autos über die ehemalige Formel-1-Rennstrecke von Goodwood, nein, hier kommen die Teilnehmer und Zuschauer in Kostümen aus den 40er, 50er und 60er Jahren. Es ist ein in dieser Art einzigartiges Fest rund um historische Autos!

 

Operation Press Day

 

Am nächsten Morgen flattern die Fahnen im Wind. Der berühmte Silberpfeil von Mercedes strahlt vor dem Schloss. Heute findet der eigentliche Grund meines Besuchs statt: der Goodwood Revival Press and Sponsors Day, zu dem ich eingeladen war. Vor der Kulisse von Goodwood House tummeln sich ab dem frühen Morgen Oldtimer und moderne Autos, ehemalige Rennautos und neueste Nobelkarossen – denn es wird nicht nur fürs Goodwood Revival, sondern auch fürs Festival of Speed geworben, bei dem sowohl alte als auch neue Wagen zugelassen sind.

 

Die Presse ist zahlreich erschienen, auch sie kommt heute in den Genuss der Sonderausfahrten („Hallo Kevin!“), damit Goodwood – wie bei mir – mit ganz starker Emotion verbunden wird, damit die Journalisten über Goodwood schreiben. Die kostümierten Statisten sind ebenfalls wieder mit von der Partie. Heute wird drinnen im Egyptian Room eine Art Kommandozentrale dargestellt, es sieht militärischer aus als gestern Abend. Und irgendwann stöckeln Bunnies mit unglaublichen Rundungen an, die tapfer auch im Freien posieren. Welch ein Spektakel!

 

Lord Mach ist mit einem Grossaufgebot an Goodwood-Angestellten überall, um diesen Anlass für alle zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. Ich denke, die Operation ist geglückt!

 

Freuen wir uns auf mehr davon beim Goodwood Revival 2012.