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Sardinien - Castelsardo und Arrivederci

Abschied von Alghero bei strahlendem Sonnenschein. Stimmt ja, hier kann man sogar noch baden gehen. Meinen letzten Tag auf Sardinien will ich nutzen, um einen Abstecher nach Castelsardo an der Nordküste zu machen - nur ein kleiner Umweg auf der Fahrt zurück nach Olbia. Das ist eine Empfehlung von Oliver, dem Drachenschnitzer. Und mein Flug geht ja erst am späten Abend.

 

Etappenstart in Alghero

 

Kurz getrübt wird meine Freude auf die Fahrt in Richtung Nordküste durch mehrere Kratzer, die sich am rechten hinteren Teil des Miet-Fiats zeigen. Das sieht aber übel aus. Ja, wo hab ich mir das denn eingebrockt, ich hab doch gar nix davon mitgekriegt? Etwa auf meinem Weg zur Grotta di Nettuno? Oder war das am Ende schon dran am Auto, als ich ihn von Äinschi übernommen hab ... sie hatte bei der Abgabe zum freundlichen Mietwagenherrn etwas von einem Schaden erwähnt. Aber solche massiven Kratzer? Die hätte ich doch gesehen ... Mist. Aber hilft ja alles nichts, erst mal los fahren.

 

Castelsardo - die Festung der Sarden

 

Ich pirsche mich aus dem Süden an die berühmte Festungs-Stadt am Hügel an. Eine Aussichtsplattform, von der aus man die typischen Fotos machen kann, überfahre ich geistesabwesend. Dafür kurve ich weiter unten direkt zum Hafen. Welch herrlicher Blick von hier aus auf die bunten Häuser, die sich an den Hang schmiegen und überthront werden von der gewaltigen Festung.

 

Wie so oft komme ich zur Mittagszeit an meinem Ziel an, somit ist wenig los bzw. der Tourist isst. Ich beschliesse, mit der Arbeit anzufangen und marschiere durchs malerische Städtchen die Treppen und Strässchen hoch zum Kastell. Die Besichtigung bleibt mir verwehrt, weil ich das Portemonnaie mit den spärlich verbliebenen Euros im Auto vergessen habe. Kreditkarte nimmt man hier keine, aber egal. Es gibt einen herrlichen Sonnenplatz fast auf Kastellhöhe mit Panoramablick auf die Nordküste: Ich stärke mich im "La Guardiola" und esse zum letzten Mal das dünne sardische Knäcke- bzw. Fladenbrot "Pane Carasau". Hauchdünn, hart, Hartweizen und Hefe. Und nachdem die italienische Kleingruppe in gelben Shirts vor mir mit dem Fotografieren beginnt, verliere ich meine Zurückhaltung und bitte um ein Abschiedsfoto von mir auf Sardinien - vor gar prächtiger Küstenkulisse.

 

Wenn ich mit eigenem Auto hier wäre, würde ich jetzt den Laden einer älteren Dame plündern. Stickend sitzt sie an der Eingangstür dieses Bijous, der eine Mischung aus Kitsch, Souvenirs, Handwerkskunst, Möbeln und Schmuck zu sein scheint. Ich würde dann eben doch irgendwelchen Korallenschmuck kaufen, der eine Spezialität Sardiniens ist. Noch dazu ist Castelsardo das Zentrum sardischer Flechtkunst ... und ich mag geflochtene Körbe, Schüsselchen ... elementare Dinge ... sehr, sehr gerne. Den Kork der Korkeichen hab ich schon in Alghero gemocht, dort stand überall noch "Sardegna" drauf, was mich vom Kaufen abgehalten hat. Hier steht' nicht drauf - wäre das originell, um Apere-Beilagen draufzulegen oder verfällt der Charme zu Hause? Am besten gefallen mir sowieso das Schiffs-Steuerrad sowie die Vintage-Globen. Wildes, interessantes Sammelsurium. Entzückt ob dieser Schätze und gleichzeitig ein wenig traurig, weil ich der alten Dame die Enttäuschung des entgangenen Geschäfts angemerkt habe, gehe ich wieder nach draussen.

 

Zuschlagen werde ich dann in der Nähe meines Euro-Autos mit vier geflochtenen Tischsets (als wäre mein Koffer nicht schon voll genug) und einer einfachen, leichten, runden Holzschale - nach dem schweren Olivenbrett, dem ich gestern in Alghero nicht widerstehen konnte. Ich mag halt Holz ...

 

Der lange Weg nach Olbia

 

Ich starte um 15.30 Uhr in Castelsardo - gebe Isabella Bescheid, dass ich mit zwei Stunden Fahrt rechne. Ich werde sie und ihre Kids Lea und Lynn am Flughafen treffen, nachdem wir zwei Wochen parallel auf Sardinien verbracht haben, ohne Gelegenheit sich zu treffen. Dafür sitzen wir im gleichen Flieger zurück nach Zürich. 

 

Es liegen ca. 100 Kilometer vor mir bis Olbia. Scheint keine Autobahn zu geben. Ich bin ja offline, habe mir aber den Weg aus Google Maps abgebildert. Kaum aus Castelsardo raus, sehe ich plötzlich diesen Elefantenfelsen. Doch ich hab keine Musse mehr für Sightseeing, ich will jetzt in den Osten. Noch schnell ein Bild und den Einheimischen sicherheitshalber fragen, welches der richtige Weg nach Olbia ist. Er weist auf die Route hoch nach Santa Teresa di Gallura hin, ich zweifle, aber die freundliche Stimme von Google Maps, das jetzt live aktiviert wird, stimmt zu. Los geht's ins Abenteuerland.

 

Gebirge. Pampa. Löcher auf den Strassen. Hoch und runter. Kein Plan, wo ich bin. Aber ganz toll. Landstrasse. Schmal. Wenig los. Entweder ein Sarde hetzt mich oder es ist so gut wie nix los. Wo sind all die Touristen? Ich vertraue dem Autochen. Hoch und runter. Kurven und Serpentinen. Ja, wo führen mich denn diese Strässchen hin? Plötzlich wird die Landschaft richtig schön - im Gegensatz zur Hinfahrt über die Autobahn. Wälder, grün, Felsen, herrlich. Bloss komme ich kaum voran, auch wenn ich mehrheitlich - angepasst an die sardische Fahrweise - über Tempolimit fahre (das Tempolimit ist ein Vorschlag). Meistens steht auf den Schildern auf Sardinien 50, ich bin 70 gefahren auf der Hinfahrt und wurde mit 90 überholt. Sehr eigen. 

 

Ja, wo bin ich denn hier? Ist ja ein Traum im Landesinneren - ein Felsenmeer im Grün, weite Flächen, Berge, ein einsam grasendes Pferd, vereinzelte Häuser. Ich geselle mich zu den Touristen im Mietwagen, die die malerische Szenerie fotografieren. Und weiter geht's. Die Strassen ziehen sich. Hoch. Runter. Kurve reiht sich an Kurve, die meisten haben diese elenden Pfeile in ihrer Mitte, die anzeigen, dass es sich um eine enge Kurve handelt. Schalten. Gas geben. Mannomann, für eine, die kein Auto mehr hat und mit dem eigenen Auto lieber Autobahn als Landstrasse geschweige denn Pässe gefahren ist - also ich fühl mich hier wie meine Ex-Hasen am Steuer: Für Jochen, Alain oder Derek wär das nix, die würden richtig aufs Gas treten. Ich fühl mich dagegen manchmal gehetzt und fahre auch mal zur Seite, um die sardischen Drängler überholen zu lassen. Die Autos mit dem F auf dem Nummernschild, so wie ich, sind Touris in Mietwagen und haben mehr Zeit.

 

Doch da tuckert jetzt einer mit - ungelogen - 30 km/h. Ist das einer der Hundertjährigen, von denen es auf Sardinien viele geben soll? Ich fasse es nicht. Leider kann ich's beim Überholen nicht erkennen, aber schon krass diese wirkliche Schleicherei. Mein Akku verlässt mich nach und nach, immer noch mitten in der Pampa. Die Kilometer ziehen sich. Zeit vergeht, Strecke kaum. Wo bin ich eigentlich? Gebirgsdörfer, sehr schön, so ähnlich wie das Örtchen, das wir uns letzte Woche im Holz-Workshop angeschaut haben, Calangianus. Jetzt fahre ich durch Tempo Pausania. Immer noch 51 km bis Olbia. Was ein Glück, dass mein Flieger erst um 21.30 Uhr startet, also kein Zeitdruck - obwohl ich geplant schon längst am Flughafen sein sollte.

 

Nochmal Schlangenlinien fahren. Im Kofferraum purzelt mein Zeugs rum. Sonne geht unter. Scheibe dreckig. Liegt Olbia eigentlich auf einem Berg? Irgendwann muss es doch mal flach und geradlinig werden. Und endlich, endlich, ja, noch wenige Kilometer. Ich erreiche die Autobahn. Zweite Ausfahrt Flughafen - muss noch tanken. Die zweite Ausfahrt ist so unscheinbar, dass ich sie rechts liegen lasse. Positiv ist, dass ich zu einer Tankstelle komme. Negativ, dass ich ein ordenltiches Stück in die falsche Richtung fahren muss bis zur nächsten Abfahrt. Und wieder auffahren Richtung Olbia und die richtige Ausfahrt zum Flughafen nehmen.

 

Laut spreche ich vor mich hin "Noleggio auto", das Wort hab ich gelernt. Und finde völlig überraschend auf Anhieb die richtige Mietwagenrückgabestelle. Der freundliche Mann vom Mietwagenservice erwartet mich bereits (denn klar, ich bin ja über die Zeit). Noch bevor ich mich ziemlich kaputt aus dem Fiat schälen kann, hat er bereits alles gecheckt und bittet um meine Unterschrift. Wie bitte? Das heisst, die Kratzer waren tatsächlich schon vorher drin? "Si, si!" antwortet er mir mit einem beglückenden Lächeln, während mich fast zeitgleich zwei sardische Moskitos zum Abschied stechen.

 

Erschöpft, verschwitzt, zufrieden erreiche ich den Flughafen. Da hinten winkt bereits Isabella mit ihren Mädels, die Kite-Surferinnen von Sardinien. Perfekter Abschluss eines wundervollen Urlaubs. 

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