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Rund um den Eiffel

7. Arrondissement

 

Und so sitze ich im Restaurant "Le Recrutement" am Boulevard de la tour Maubourg und bin froh, allein zu sein. Denn die Geräuschkulisse aus Tischgesprächen, Musik aus dem Lautsprecher und Gläsergeklapper an der Bar liesse keine Unterhaltung zu. Es wäre reines Anbrüllen. Zwei Tische vor mir bzw. darüber hängt ein Fernseher - wahrscheinlich ohne Ton. Vorhin hat Neymar gespielt - ah ja, natürlich - für seinen neuen Verein, Paris St. Germain. Das ist das Nachbar-Arrondissement, das 6ième. 

 

Ich selbst bin mittendrin im ebenfalls schönen und wohlhabenden 7. Arrondissement, das auch Palais Bourbon heisst, nach dem Sitz der französischen Nationalversammlung, der Assemblée Générale. Nähe zum Eiffelturm und zum Invalidendom. Weltbekannte Museen wie das Musée Rodin und das Musée d'Orsay. 

 

Der Ober ist nett, verfällt leider irgenwann ins Englische. Ich frage "Parlez-vous français?" - er lacht und spricht ab da wieder in seiner Sprache mit mir. 

 

Eiffel

 

Ist Gustave Eiffel womöglich der berühmteste Künstler der westlichen Welt? Berühmter als Goethe, Shakespeare, Mozart, Michelangelo oder Leornardo? Wenn wir weltweit fragen, wer hat den Faust geschrieben oder den Sommernachtstraum? Wer hat die Zauberflöte komponiert, den David erschaffen oder die Mona Lisa gemalt? Und wer, bitteschön, hat den Turm zu Paris gebaut? Er war ein Ingenieur und kein Künstler. Eigentlich.

 

Was hat er sich da bloss gedacht? Konstruiert und gebaut. Ein technisches Meisterwerk. Ein Wunder? Erschaffen für einen banalen Anlass. Und die Komposition steht immer noch. Eisern und fest. Elegant einfach und schön. Prächtig und stolz. Herr Eiffel muss im Himmel doch permanent Purzelbäume schlagen vor Freude. 

 

Abends blinkt der Turm zu jeder vollen Stunde fünf Minuten lang. Es funkelt. Die Pariser gähnen. Die Touristen setzen letzte Energiereserven frei und strahlen mit den Lichtern, die gerade am Turm herunterprasseln, um die Wette. 

 

Er verzaubert - ich kann es nicht anders sagen. Zum hundertsten Mal bin ich in Paris. Ein Jahr lang habe ich hier studiert. Monatelang habe ich hier gelebt und gearbeitet. So oft bin ich hier gewesen privat und beruflich. ... ja, und er verzaubert mich immer noch. 

 

Rückblick

 

Innerhalb meiner ersten 24 Stunden in Paris bin ich seit gestern drei Mal umgezogen. Das kommt davon, wenn man nicht sauber plant und recherchiert. 

 

Paris, 18. September, 16:30 h - Aparthotel Adagio Paris Centre Tour Eiffel (15ième)

 

Ich wollte gerne in ein Appartment gehen - habe gute Erfahrung damit gemacht in Wien in diesem Frühjahr. Beim Buchen für Paris hab ich dann missachtet, dass das Adagio ein Hochhaus ist. Umgeben von Hochhäusern - dabei ein chinesisches, ein orientalisches und ein koreanisches Restaurant gegenüber dem Hoteleingang in der Häuserschlucht. Nach dem Check-in wie in einem Flughafen fahre ich ahnungslos in den 20. Stock. Bevor noch mein Kopf realisiert, dass meine Beine bereits wackeln, suchen meine Augen im Dunkel des einsamen Stockwerks nach der Blinkanzeige für Zimmer Nummer 2001. Die Tür öffnet sich, Blick auf den Holzfussboden, der mich das Ganze hat aussuchen lassen. Der Geruch des Fahrstuhls, der übergegangen ist in den Geruch des Flurs und sich nun wandelt zum Geruch von Desinfektionsmittel in diesem Appartment. Ich blicke durch riesige Fensterfronen auf in der Ferne einen halben Eiffelturm. Die andere Hälfte wird verdeckt von einem hohen Turm ohne Fenster, dessen Bedeutung sich mir nicht erschliesst. Mit meinen schlotternden Beinen und der Höhenangst kann ich mich dem Fenster nicht mehr als einen Meter nähern. So kann ich den seltsamen Turm nicht weiter inspizieren.

 

Was tun? Ich fühle mich wie in Hongkong, nicht wie in Paris. Auch im Bad wackelt es. Und auch hier ein Mief, der mir umso stärker auffällt als dass ich weiss, dass in diesem Appartment kein Fenster geöffnet werden kann ... raus hier! Runter an die Rezeption - im Fahrstuhl verschiedene Araber, die sich freundlich unterhalten. Aber auch zufriedene westliche Touristen finden sich ein - nicht alle finden's so schrecklich hier wir ich. Die Dame an der Rezeption ahnt nicht, dass mein Herz jubelt, als sie mir mitteilt, dass das niedrigste Stockwerk des Etablissements im 7. Stock sei. Ich weiss jetzt bereits, dass es dort auch wackeln wird und ich hier dezent einen Abgang machen werde.

 

Die junge Frau ist kulant und storniert mir die Gesamtzahlung, ohne etwas einzubehalten. Ich atme auf, flüchte ins Taxi und lasse mich seufzend auf den Sitz fallen.

 

Eine Stunde später, Rue Poussin (16ième)

 

Das Taxi hält im 16. Arrondissement vor dem kleinen Hotel "Poussin". Noch am Morgen in Zürich, im Rahmen meiner Last-Minute-Buchung von Paris, hatte ich gesehen, dass in diesem einfachen Hotel Zimmer frei waren. Und hatte mit dem Gedanken gespielt, mich dort, unweit meines einstigen Studenten-Studios an der Porte d'Auteuil, einzuquartieren. Jetzt war es einfach nur ein verzweifelter Wunsch, dass dort noch ein Zimmer frei sein musste.

 

In der Tat - noch ein Zimmer ist frei. Nummer 47 - Fahrstuhl dritter Stock, dann über die "Terrasse" mit grünem Teppich ausgelegt und Blick in der Ferne auf den Eiffelturm. Dann noch ein wendeltreppenähnliches Stück Weges den schweren Koffer die Treppe hinauf bugsieren hoch in den vierten Stock. Ein nettes, kleines Zimmer, in dem man nicht umfallen kann. Bad frisch renoviert, ein Schlauch, gerade durchgehen geht nicht. Wenn man auf der Toilette sitzt, hat man die Wahl, die Beine entweder nach links oder nach rechts zu schlagen. Aber ich bin zufrieden - Hauptsache aus dem Wackelturm raus!

 

Am Abend, Rue Casimir (7ième)

 

Die Tür öffnet sich und ich blicke auf einen Bauch: Marie ist schwanger! Es ist unglaublich, es wird ein drittes Mädchen nach Juliette (8) und Elise (6) geben. Die Mädels sind entzückend und herzallerliebst zu mir - ich geniesse es. Meine Ex-Kollegin Marie ist jung und energiegeladen wie immer - und dabei hat sie vergangene Woche für ihre Firma ein Fest für 1700 Personen organisiert, im 9. Monat schwanger. 

 

Ihr Mann Thomas ist wie eh und je der ruhende Pol. Es ist wie immer, wenn ich dort bin - ein Ankommen fast wie zuhause. Sehr selten. Sehr kurz. Aber wundervoll. Der Eiffelturm funkelt zur vollen Stunde, als ich zurück ins Hotel fahre.

 

Nächster Tag, 12:00 h, Boulevard de la tour Maubourg (7ième)

 

Ich gehe kein Risiko mehr ein. Ich möchte in ein schönes Viertel. Ich möchte Rive Gauche. 

 

Bereits im Taxi habe ich ein erstes Glücksgefühl: Klassische Musik, wir stehen an einer roten Ampel am Boulevard Exelmans. Mein Blick fällt auf ein banales, altes, wunderbar erhaltenes, auf ein für Paris so typisches Haus mit seinen verzierten Balkonen. Die Sonne scheint. Ein Metroschild. Frau mit Hund. So einfach kann es sein. Paris. 

 

Und es gefällt mir im Best Western Hotel! Hier fühle ich mich wohl. Wieder einmal bin ich dankbar, dass ich solche Übernachtungen finanzieren kann. Wenn auch mit knirschenden Zähnen - ja, die Preise in Frankreich gelten immer pro Zimmer. Ich verstehe das einerseits aus Hotelsicht. Andererseits bitter für mich, dass ich ewig und ewig doppelt so viel zahlen muss wie ein Mensch in einer Paarbeziehung. 

 

Endlich kann mein Paris-Besuch losgehen:

 

Hunde, ja, sie haben Hunde in Paris. Vor allem kleine Hunde. Hundekacke - kennt man nicht in der Schweiz.

 

Baguettes! Es gibt sie immer noch!

 

Obdachlose. Ja, leider.

 

Neu: Viele asiatische Restaurants. 

 

Viele Menschen mit Leitungen aus den Ohren - das war zu meiner Studienzeit noch nicht so.

 

Grosses Café, lediglich eine Toilette. Toilette verstopft. Wie damals.

 

Die Dame neben mir schreibt in ein Cahier. Furchtbar viele senkrechte und waagerechte Linien. Wir haben's entweder liniert, kariert oder ohne. Der Franzose hat sein universelles Cahier. 

 

Draussen sitzen. In der Sonne. Direkt an der Strasse. Und es geniessen.

 

Ich dreh mich um, um nach dem Strassennamen zu suchen - und da isser - der Eiffel. Verdammt, ja, da isser einfach so. 

 

Patisserie Karamel. Dafür liebe ich Paris.

 

Der französische Geschäftsmann unverändert elegant - in dunkelblauem Zwirn.

 

Und auch die Litfass-Säulen drehen sich noch immer. Nur die Kinofilme ändern sich. La Binoche kommt mit einem neuen Film Ende September.

 

Auf einem dschungelartigen Weg nähere ich mich dem Café Branly. Verweile dort draussen in der Sonne mit Blick auf den Eiffel vor mir und die Stelzen zu meiner Rechten, die das Musée du quai Branly tragen. Museum für aussereuropäische Kunst, von Jean Nouvel entworfen und dem Gartenarchitekten Gilles Clément vollendet. 2006 von Jacques Chirac eröffnet. Und ich war noch nie drin. Auch heute nicht. 

 

Eine ganz neue russisch-orthodoxe Kirche mit riesengrossen, von der Sonne angestrahlten Kuppeln. Doktor Schiwago mitten in Paris mit Grüsse von Herrn Putin. 

 

Und dann huldige ich dem Eiffel. Von unten. Von weitem - in Richtung Trocadéro. Von hinten - Champ de Mars. Da steht er. Selbstverständlich. Solide. Schön. Und das Volk huldigt ihm voller Freude.

   

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