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Sprechün und Schreibün

Wien, Tag 2

 

Mein Herz klopft. Gleich bin ich dran. Ich muss es sagen, das Wort. Wenige Sekunden hab ich noch, während Peter neben mir sein Bestes gibt. Jetzt, jetzt ist die Reihe an mir. Ich schlucke, hole Anlauf. Ich öffne den Mund: "Ä - übri - gün". Was im normalen deutschen Leben ein banales "erübrigen" bedeuten würde, erfordert hier einen Kraftakt an Mut, Konzentration und Lippenbekenntnis. 

 

Wir lernen sprechen heute. Ausgerechnet in Wien, ausgerechnet von Referenten, die einen wohlklingenden Wiener Schmäh nicht verleugnen können. Harald, Schauspieler, Sprechtechnik-Trainer und Kettenraucher, hat uns am Morgen gewarnt: "Ich werde Euch quälen." Doch wenn man nicht weiss, was einem erwartet, hat man dann Angst?

 

Und doch schafft es Harald, dass die Kinderärztin, der Geologe, die Personalberaterin, die Radiomitarbeiterin, die Autorin, die IT-Experten und ich, wenn nicht Angst, dann jedenfalls Respekt vor jedem vorgelesenen Wort haben. Wir nähern uns ihm wie einem potenziellen Feind, der uns blamieren kann, wenn die feinhörigen Ohren des Trainers jeden noch so kurzen Laut hören, erkennen und gegebenenfalls freundlich zerpflücken. Er erzählt uns von einer Schülerin, die die Kunst der deutschen Bühnensprache in sage und schreibe sechs Monaten gelernt habe. Das jedenfalls lässt uns nichts Gutes hoffen für die insgesamt sechs Tage, die der Kurs dauert. Ich hoffe, dass ich nicht als Legasthenikerin zurück nach Zürich fliegen werde.

 

Ach ja, um die Verbindung zwischen den Konsonanten besser herzustellen, empfiehlt uns Harald, ein ganz leichtes türkisches "ü" einzubauen. "Ergeben" mit "ü". Oder aber auch sehr schön: die Lie-bün-dün! Herr, hilf!